Kapitel 1
Müde und mit nassen Augen steht Lea auf. Sie geht ins Bad und wäscht sich ihr Gesicht. Als sie in den Spiegel sieht, erschrickt sie. Sie hat starke Augenringe und es steht ihr ins Gesicht geschrieben, dass es ihr nicht gut geht. Sie ist kurz vor dem Zusammenbruch. Sie hat bereits vier Nächte nicht mehr durchgeschlafen. Ständig tauchen wieder diese Bilder in ihrem Kopf auf. Ein Wald, drei Schüsse, Blut...
Sie macht sich keine Mühe sich zu schminken und sie bürstet ihre langen, goldenen Locken nur grob durch.
In zwei Tagen soll sie zu Pflegeeltern auf das Land. Sie ist in einer Stadt aufgewachsen – fünfzehn Jahre lang in einer Stadt wohnen und dann plötzlich auf das Land ziehen? Warum tut man mir das an? Kann ich nicht einfach hierbleiben? Bei meinen Freunden? Soll ich jetzt alles verlieren? Vor ein paar Tagen habe ich den wichtigsten Teil meines Lebens verloren. Es bleiben nur Erinnerungen – nicht mehr. Soll ich nun auch noch den Rest meines Lebens wegwerfen? Das einzige, das ich jetzt noch habe? Entsetzt lässt sie sich auf das Bett fallen. Sie spürt, dass Tränen – wie so oft in diesen Tagen – über ihre Wangen rollen. Sie versucht sie zu unterdrücken. Doch umso mehr sie es versucht, umso weniger gelingt es ihr. Die nächsten Tage werden nicht besser werden. Wie soll es ihr auch gehen – nach diesem furchtbaren Schicksalsschlag? Sie hat ihre Eltern und ihren jüngeren Bruder verloren. Alle auf einmal. Und jetzt soll sie auch noch ihre Freunde zurücklassen? Oder sogar ihr ganzes bisheriges Leben vergessen? Was soll ich tun? Die wollen mich doch nicht ernsthaft wie ein Tier woanders hinbringen? Einfach von dem einen Fleck zum nächsten? Was soll ich denn machen? Soll ich weglaufen? Weit, weit weg? Doch wohin... und sie würden mich doch immer finden. Ich will hier nicht weg! Nicht weg von hier! Das können die doch nicht einfach machen? Was soll ich denn irgendwo im nirgendwo? Vielleicht sind dort die Leute ganz anders. Vielleicht werden sie mich dort hassen. Ich bin doch hier schon nicht beliebt. Wenn man mich anspricht, dann bekomme ich keinen Ton heraus oder ich fange an zu stottern. Was mach ich, wenn ich mit meinen Pflegeeltern nicht klar komme? …
Schon um fünf Uhr in der Früh steigen Katharina und Max in das Auto. Sie sind noch ziemlich müde, doch sie wollen sie endlich sehen - ihre zukünftige Pflegetochter Lea. Sie kennen Leas Geschichte und sie wissen, dass sie sich auf etwas sehr schwieriges eingelassen haben. Katharina kann keine Kinder bekommen und die beiden warten daher schon eine halbe Ewigkeit auf ein Pflegekind. Sie wohnen auf einem Hof mit vielen Pferden. Einem Reiterhof. Kathi hat sich darauf vorbereitet Lea das reiten bei zu bringen.
Vier Stunden später klopft es an der Tür. Lea springt erschrocken auf und fällt gleich darauf zurück auf ihr Bett. Vorsichtig rappelt sie sich wieder auf und atmet mehrmals kräftig durch. Schließlich geht die Türe auf. Eine Frau mit langem, fransigem Haar schaut ins Zimmer. „Dürfen wir herein kommen, Lea? Du bist doch Lea, oder?“ Lea antwortet der Frau mit einem schüchternen Nicken. Hinter der Frau kommt ein Mann mit kurzen, glatten, dunkelbraune Haaren herein. Die Frau stellt sich und ihren Mann kurz vor. Katharina und Max. Sie scheinen ganz nett zu sein. Aber soll ich jetzt einfach mit ihnen mitgehen? Mit fremden Leuten? „Unten ist doch eine Cafeteria. Wir könnten einen Kaffee trinken und wenn du möchtest, dann kannst du auch ein Eis haben“, fährt Kathi anschließend fort. Lea nickt immer noch schüchtern. Mir bleibt so oder so nichts anderes übrig. Und ein Eis kann nicht schaden. Sie steht auf und folgt Max und Kathi zur Cafeteria. Sie setzen sich an einen kleinen Tisch mit drei Stühlen, der sich in einer ruhigen Ecke befindet. Max bestellt für sich und seine Frau jeweils einen Kaffee und für Lea einen Schokoladeneisbecher. Sie reden nicht viel und Max trinkt seinen Kaffee aus und verlässt den Tisch. Kathi bricht mal wieder das Schweigen: „Max erledigt die Papiere oben. Aber du kennst uns nicht und daher ist es bestimmt komisch für dich einfach mit uns mitzufahren. Wir wohnen vier Stunden Autofahrt von hier. Wir haben ein relativ großes Anwesen direkt am Dorfrand. Magst du Pferde?“ Endlich bekommt auch Lea ein Wort heraus. Sehr leise erwidert sie: „Ich hatte noch nie viel mit Pferden zu tun. Aber ich würde gerne einmal reiten.“ „Was sind den dann deine Lieblingstiere?“ „Hunde – ja Hunde eigentlich“, antwortet Lea auf Kathis Frage. In dem Moment kommt Max zurück in die Cafeteria. Er nickt Kathi zu. Darauf steht Kathi auf und fragt Lea, ob sie alles zusammengepackt hätte. Sie bejaht und die drei holen zusammen Leas Gepäck. Nachdem sie alles in das Auto geladen haben, steigen sie ein. Lea setzt sich auf die Rückbank der Beifahrerseite. Max startet das Auto und sie fahren los. Was wird mich wohl erwarten? Jetzt fahr ich ja doch weg. Zu spät zum Umkehren. Nun gibt es kein Zurück mehr. Ihr rollt eine Träne über ihre leicht rötlichen Wangen. Sie lehnt ihren Kopf an die Fensterscheibe, damit es Kathi und Max nicht merken, dass sie weint. Doch Kathi entgeht es nicht: „Alles in Ordnung? Sollen wir umdrehen?“ „Nein“, ihre Stimme versagt. Jetzt habe ich eine Chance bekommen um hier zu bleiben und lehne sie ab! Ich bin so ein Idiot – ohne Nachdenken einfach zu antworten... Und jetzt? Was soll ich jetzt machen? Soll ich doch noch Fragen ob wir doch umkehren können? Nein! Das käme dumm. Du hast nein gesagt und damit basta.
Kathi macht einen gequälten Gesichtsausdruck. Es tut ihr sichtlich weh Lea so zu sehen. Doch es hilft nichts. Da müssen sie jetzt durch. Und auch Max sieht nicht fröhlich aus.
Als Lea ihre Augen öffnet fühlt sie sich besser. Sie verspürt sogar eine Spur von Erleichterung, denn sie weiß, dass sie jetzt nicht mehr alleine ist. Außerdem ist da eine Nervosität, die in ihr kribbelt. Doch auf der anderen Seite ist ihr Herz immer noch schwer, als wäre es mit lauter Steinen gefüllt. Mit Steinen aus Trauer, Hilflosigkeit und Angst. Vielleicht war es gut, dass ich mich entschieden habe mit ihnen zu gehen. Das wird sich noch zeigen. Doch im Moment geht es mir ein wenig besser. Das ist immerhin ein Anfang. Sie durchqueren ein kleines Dorf und biegen anschließend auf eine schmale geteerte Straße ein. Diese führt in die Mitte eines großen Anwesens. Ziemlich groß – hoffentlich werde ich mich hier zu Recht finden und mich nicht verlaufen. Dieser Gedanke lässt sie schmunzeln. Max parkt das Auto auf einen großzügigen Parkplatz neben einem riesigen, einladend aussehenden Haus. Kathi springt aus dem Auto um Lea die Autotür zu öffnen.
Sie betreten das großräumige Haus. Selbst der Hausflur sieht schon vielversprechend aus. Langsam steigt die Nervosität in ihr. Sie kann es kaum erwarten, ihr Zimmer zu sehen. Max geht voraus und Lea folgt ihm. Sie sieht das ganze Haus. Es ist riesig. Endlich stehen sie vor der Tür in ihr Zimmer. Kathi schiebt sie zur Tür: „Na, mach schon! Öffne die Türe!“ Lea drückt vorsichtig die Klinke runter und öffnet die Tür. Ihr Mund bleibt ihr vor erstaunen offen stehen. Sie hat noch nie so ein schönes Zimmer gesehen. Das soll mein Zimmer sein? Die veräppeln mich doch! Das kann nicht sein! Das ist so – so groß! Die leicht grüne Wand mit dem schwarzen Ledersofa davor – wow! Wahnsinn! Lachend stolpert sie bis zu Mitte des Zimmers. Sie kann ihr Glück nicht fassen. Auf der anderen Seite steht ein Bett aus weißem Holz und auch die anderen Möbel sind alle weiß. Auf dem Nachtkästchen! Da liegt ein Laptop! So... so... so unglaublich! Die müssen aber viel Geld haben. Kathi und Max strahlen, weil es ihr so gut gefällt.
Wenn sich eine Tür Richtung Glück schließt, öffnet sich eine andere! Aber wir bleiben stehen und starren die geschlossene Tür so lange an, dass wir die für uns bereits geöffnete Tür nicht bemerken. Doch Lea hat das nicht getan. Sie hat eine Tür gefunden. Ob diese sich weiterhin als „die Tür zum Glück“ erweist, ist die andere Sache.
Zusammen mit Kathi macht sie das Abendessen. So glücklich war sie schon seit Tagen nicht mehr. Nicht einmal eine kleine Spur von Glück hatte man in ihr gefunden. Doch jetzt strahlt sie. Für diese kurze Zeit kann Lea ihre Sorgen vergessen und auch von Trauer oder Angst ist nichts mehr zu finden.
Abends legt sie sich in ihr Bett und versucht zu schlafen. Doch immer wenn sie einschläft, dann fing sie an zu träumen. Sie sieht sich mit ihrer Familie durch den Wald gehen und plötzlich gab es einen lauten Knall. Genau an dieser Stelle wacht sie immer auf. Immer und immer wieder spielen sich die schrecklichen Bilder ab, die ihr wie ins Gehirn gebrannt sind. Jedes Mal wieder bekommt sie einen Schock und muss fast aufschreien. Sie kann diesen Tag nicht vergessen, so sehr sie sich es auch wünscht. Es schmerzt in ihr, als wenn man ihr ein Messer ins Herz rammt. Es quält sie und es will einfach nicht aufhören. Ihr Kopf schmerzt durch die Müdigkeit. Ihre Augen fallen fast zu, doch sie versucht wach zu bleiben. Sie hat Angst dieses Ereignis noch ein weiteres Mal, in Form eines Albtraums, zu erleben. Wie reißende Flüsse, strömen ihr die Tränen über die Wangen. Sie ist mit den Nerven am Ende.
Am nächsten Morgen wacht sie erst sehr spät auf. Als sie die Treppe runter gegangen war, steht bereits das Mittagessen auf dem Tisch. Sie setzt sich zu Kathi und Max an den Tisch. „Hast du gut geschlafen?“, fragt Kathi. „Ja“, lügt Lea. Sie hofft, dass sie überzeugend klang. Denn in Wirklichkeit hatte sie eine furchtbare Nacht hinter sich, genauso wie die anderen davor auch.
Schweigend verlässt sie mit Kathi das Haus. Kathi steuert direkt auf einen langen Stall zu. Sie betritt mit Lea zusammen den Stall und erklärt ihr, dass das ihr Stall ist. Der kleinere, vordere Teil ist für die Schulponys und der große Teil dahinter für ihre Pferde. „Warum Schul-Ponys? Ich kann doch gar nicht reiten“, Lea ist total verwirrt. Kathi entgegnet: „Noch nicht. Aber ich werde es dir beibringen. Oder möchtest du in etwa nicht?“ Das Angebot kann man doch nicht ablehnen, oder? Wie oft habe ich mir früher gewünscht einmal zu reiten? Ich muss einfach. Wie viele Mädchen träumen von einem eigenen Pferd und ich habe gleich die Chance auf so viele! Strahlend beantwortet sie Kathis Frage mit einem sicheren nicken. Gemeinsam mit ihrer Pflegemutter geht sie in den Stall von dieser: „Wie viele Pferde und Ponys hast du?“ Kathi freut sich über das überaus große Interesse: „60 Boxen und 30 Pferde davon sind meine. Na, worauf wartest du? Such dir eins aus und kümmere dich um es. Ich besorge solange das Putzzeug.“ „Ist das dein ernst? Irgendeines?“, Lea kann es nicht fassen. Katharina nickt und läuft auf die Sattelkammer zu. Lea betrachtet einige Pferde. Von Shetlandpony bis zu Shire-Horse. Sie sieht ein Fjordpony mit einer zotteligen Mähne, dass sie mit großen, freundlichen, schwarzen Augen anschaut. Langsam und unsicher greift Lea zwischen den Eisenstäben der Box hindurch und streichelt die Stute zwischen den Augen. Vor lauter Freude und Erstaunen merkt sie nicht, dass Kathi bereits hinter ihr steht: „Gefällt sie dir?“ Als Lea bejaht, öffnet Kathi die Boxentüre und zeigt ihr, wie man ein Pferd auf halftert. Lea probiert es selbst und hat sofort Erfolg. „Die Stute steht jetzt seit ungefähr zwei Wochen bei uns im Stall. Sie ist sehr verschmust und liebt es, beschäftigt zu werden“, erklärt Kathi, „Ihr alter Besitzer wollte sie schlachten lassen. Wir haben sie dann freigekauft.“ Lea hört aufmerksam zu, während sie die Stute faszinierend am Kopf kraulte. Kathi befestigt einen Führstrick an dem Halfter des Tieres und führt es aus dem Stall. Sie verlässt zusammen mit Lea den Stall und steuert direkt auf den mit Teppichschnipseln gefüllten Reitplatz zu. Vor dem Reitplatz bindet sie das Pony an und gibt Lea Bürsten, damit sie das Tier striegeln kann. „Wenn du möchtest, dann kannst du dir einen Namen für sie überlegen“, sprudelt es aus Kathi heraus. Mal sehen – Ihr Fell ist falben und sie hat eine zerzauste schwarz-weiße Mähne. Außerdem hat sie schwarze, große aber freundliche Augen. Neugierig scheint sie auch zu sein... Bella finde ich schön. „He Bella. Du bist aber eine hübsche und nette.“ Lea putzt die Stute gründlich, während diese sie abschnuppert und nach etwas Fress- baren sucht. „Du bist aber ganz schön frech“
Lea ist gerade fertig, als Kathi auf sie zugeritten kommt: „Du kannst mit ihr am Reitplatz etwas herum laufen und sie beschäftigen. Weißt du mittlerweile einen Namen für sie?“ „Was meinst du zu Bella?“ - „Ja das hört sich gut an. Ich mache einen kleinen Ausritt und bin in etwa einer Stunde zurück. Max wird ab und zu nach dir schauen und wenn du etwas brauchst, dann wende dich an ihn. OK?“ - „Ja. Viel Spaß!“, damit beendet Lea das kurze Gespräch mit Kathi.
Lea streichelt, in Gedanken versunken, Bella.
Hoffentlich sind hier alle Leute so nett wie Kathi und Max. Mir gefällt es hier. Soll ich Bella jetzt einfach abbinden? Oder muss ich dabei irgendetwas beachten? Na toll!
„Hey süße! Dich habe ich hier ja noch nie gesehen! Ich bin Lukas, aber kannst gerne Luk sagen“, spricht ein gut aussehender Junge Lea an. Wie hat der mich gerade genannt? Süße? Ach du meine Güte! Was sage ich jetzt? Ich muss antworten!
„Ähmm... Hi – ich bin Lea“, stottert sie. Sie versucht zu lächeln.
„Woher kommst du denn? Und ist das dein Pony?“
„Aus München.“
„Und? Ist das jetzt dein Pony?“
„Ähmm – Ich glaube schon.“
„Was heißt glauben? Das musst du doch wissen“, Luk muss lachen. Lea versucht es ebenfalls.
Oh man! Wie peinlich! Was soll ich denn jetzt sagen?
„Was machst du denn auf dem Hof?“, Lea hofft, dass ihr der Versuch das Thema zu wechseln gelingt.
„Ich habe hier ein Pferd und ich helfe oft im Stall mit.
So – genug über mich geredet. Was ist mit dir? Wenn du schon nicht weißt ob das hier dein Pony ist, dann solltest du wenigstens wissen, was du hier machst.“
„Ja, aber das ist eine lange, komplizierte Geschichte.“
„Ich habe Zeit und ich werde dir schon folgen können.“
„Ne, lass mal gut sein“, Lea kann nicht darüber sprechen.
„Hey Luk! Wann hast du vor die Box von deinem Pferd auszumisten? Die sieht ja furchtbar aus!“, ruft Max aus einem der vielen Ställe.
„Ich komme schon!“, antwortet Luk, „Ich muss los. Wir werden uns doch noch einmal sehen, oder?“
„Bestimmt“, erwidert Lea erleichtert. Das war ja mal peinlich! Was rede ich nur immer für einen quatsch? Aber eigentlich eine gute Frage ob Bella jetzt mein Pony ist.
„Hey Lea!“, ruft Kathi und reitet auf sie zu, „Du hast Luke schon kennen gelernt? Soll ich dir noch ein paar andere Leute vorstellen?“ „Ja, gerne!“, Lea will auf-geschlossen erscheinen. Hoffentlich wird das diesmal nicht so peinlich.
Lea folgt Kathi. Diese steuert genau auf einen Platz mit Hindernissen zu. Ein Mädchen führt gerade ihr Pony vom Platz.
„Hey Kathi“, grüßt das Mädchen.
„Hi Marry. Das ist Lea. Meine Pflegetochter. Sie ist gestern zu uns gekommen“, dann wendet sich Kathi an Lea.
„Lea, dass ist Marry. Sie reitet hier und hat hier ihr Pony Charlie untergestellt.“
Die drei schauten sich gegenseitig an.
„Ich muss noch etwas erledigen. Marry, hast du gerade etwas Zeit?“
Marry nickt.
„Könntest du Lea einfach ein wenig den Hof zeigen und ihr vielleicht mit ihrem Pony helfen? Wäre nett wenn du ihr ein paar Sachen erklärst, über Pferde. Sie kennt sich nicht so gut aus. Und du kannst ihr ja beim Satteln helfen.“
„Klar. Kein Problem. Na komm schon Lea. Ich zeig dir alles.“
Das kleine Mädchen nimmt Lea an die Hand und zieht sie in die Richtung des Stalles.
„Wie alt bist du?“, will Lea unbedingt wissen.
„Neun, fast zehn. Und du?“
„Süß. Ich bin fünfzehn“
Marry zeigt Lea noch einen Teil des Hofes und erzählt ihr eine ganze Menge über Pferde.
„Wenn du reiten kannst, dann gehen wir beide einmal ausreiten, ok?“
„Ja klar!“
Lea ist kein Fan von kleinen Kindern, aber Marry stört sie nicht. Im Gegenteil, sie findet sie sogar richtig süß.
Als Marry von ihren Eltern abgeholt wird, geht Lea wieder zu Bella, die immer noch angebunden war. Sie stellt sich zu der hübschen Stute und tätschelt ihr den Hals.
Ein anderes Mädchen, überschminkt und mit hohen Absätzen an den Schuhen, steuert auf einen Stall zu.
Oh Gott… was ist das denn für eine Tusse? Sieht ja nicht aus, als würde die hier reiten. Wenn die ein Pferd hat, dann tut mir das Leid.
„Jenny! Lass mich endlich in Ruhe und geh einem anderen auf die Nerven!“, schimpft Luk im Stall.
„Wie blöd bist du eigentlich?!“, schreit Jenny.
„Kapier es! Ich will nichts von dir!“, Luk war mehr als nur sauer.
Diese blöde Nuss! Die kapiert es einfach nicht! Ich will nichts von der. Die soll doch zu den anderen gehen. „Jeder würde sofort ja sagen, wenn er mich haben könnte“ so eine angeberische Zicke.
Das Mädchen rennt aus dem Stall. Lea hatte Luk bereits gehört, wie er herum geschrien hatte.
Das klang ja vorher nicht gerade nach Freude.
Kurze Zeit später kommt Luk aus dem Stall. Er hat sein Pferd am Halfter und kommt auf Lea zu. Dann bindet er seinen braunen Hannoveraner neben Leas Stute an die Stange. Lea starrt ihn entsetzt an.
„Was ist los?“, fragt er.
Nach einer kurzen Zeit schüttelt Lea den Kopf:
„Nichts, nichts“
Sie spürt wie ihr die Röte ins Gesicht steigt. Schnell schaut sie auf Bella.
„Das vorhin war übrigens Jenny. Aber kleiner Tipp, halte dich von ihr fern“
„Okay“, Lea fragt bewusst nicht nach dem Grund.
„Wie sieht´s aus? Lust auf einen Ausritt?“
„Ich kann nicht reiten.“
„Du weist nicht ob das dein Pferd ist? Du kannst nicht reiten? Noch etwas das ich wissen sollte?“
Er musste lachen.
„Danke. An Tatsachen kann ich leider nichts ändern.“
„Okay, okay. Bitte, bitte.“
Luk schaut wieder ernst.
„Tut mir Leid, aber hört sich echt lustig an. Das musst du zugeben.“
Jetzt muss auch Lea lächeln.
Vorsichtig streichelt sie Bella über die Nüstern.
Luk war dann fertig mit dem Putzen:
„Ich hole meine Sattelsachen. Bin gleich wieder da.“
Kathi kommt mit ihrer braun-weisen Stute über den Hof geritten.
„Hi Lea. Da bin ich wieder. Alles klar bei dir?“
„Hi. Ja klar.“
„Wie kommst du mit ihr klar?“, Kathi zeigt auf Leas Stute.
„Sie heißt Bella“, verbessert Lea.
Kathi nickt.
„Ja sie ist eine tolle Stute. Marry hat mir so viel erklärt. Sie ist so klein und weis so viel.“
„Marry war schon mit drei Jahren auf dem Pferderücken gesessen und mit sieben hat sie ihr Pony bekommen.“
Lea schaut Kathi mit großen Augen an.
„Und wie sieht es mit dir aus? Traust du dich?“
„Trau ich mich was?“
„Reiten. Auf Bella.“
„Ich kann doch gar nicht reiten.“
„Aber du würdest dich trauen?“
„Ja, glaube schon.“
„Glauben ist nicht wissen. Also willst du es probieren oder eher nicht?“
„Wenn du es mir zeigst und mir hilfst.“
„Das ist doch eine Aussage. Komm mit“
Lea folgt Kathi in den Stall. Kathi läuft gleich den ersten Nebengang hinter in eine Art Zimmer mit lauter Schränken.
Kathi nimmt eine Kreide aus ihrer Tasche und schreibt auf eine kleine Tafel am ersten Schrank den Namen von Leas erstem Pferd. Dann öffnet sie den Schrank und gibt Lea eine Decke und einen Gurt in die Hand. Die Trense hängt sie sich selber über den Arm. Dann verlassen die beiden den Stall wieder.
Luk steht draußen bei seinem Pferd und versucht ihm gerade die Trense anzulegen. Doch seinem Pferd gefällt das gar nicht.
„Kann man dir etwas helfen? Luke?“, fragt Kathi.
„Nein, danke. Ich schaffe das schon“, antwortet Luke schnell, aber mit sicherer Stimme.
Kathi erklärt Lea für was man eine Trense braucht und wie man sie dem Pferd richtig anlegt.
Bella öffnet bereitwillig das Maul, damit ihr Lea mit Kathis Hilfe, das Gebiss hineinschieben können.
Gemeinsam legen sie die Decke auf den Rücken der Stute und befestigen diese mithilfe des Gurtes.
Kathi sprintet in den Stall und kommt kurzdarauf mit einem Reiterhelm und einer komischen Weste zurück.
Ihre Pflegemutter erklärt ihr, dass das ein Protektor ist, der sie schützt, wenn sie herunterfallen sollte.
Kathi half Lea auf Bellas Rücken.
Luke, der es endlich geschafft hatte sein Pferd zu satteln, steht nun am Zaun des Reitplatzes und schaut Lea zu.
„Gut Lea. Lass uns für heute aufhören. Schritt und Trab auf der ganzen Bahn hast du super gemacht. Die Übungen bist du auch gut geritten, aber die können wir noch ein bisschen üben“, meint Kathi und hält Bella fest, damit Lea absteigen kann.
Dann nimmt Lea Bella am Halfter und führt sie vom Platz. Sie bindet sie neben Cookie, dem Pferd von Luk, an.
„Gehst du noch ins Gelände?“, will Kathi von Luk wissen.
„Ja, das hatte ich vor. Hast du etwas dagegen wenn ich Lea mitnehme? Ich kann sie auch an den Strick nehmen.“
„Bella wurde jetzt seit zwei Wochen das erste Mal wieder bewegt. Das reicht für heute. Aber du kannst sie trotzdem mitnehmen. Lass mal überlegen auf wem.“
Kathi schaut Luk an.
„Was ist mit der weißen Araberstute, die kurz nach Bella kam?“, schlägt Luk vor.
„Ja die ist gut.“
Dann schaut sie Bella an:
„Wenn du mit der Stute gut klar kommst, dann kannst du sie nach dem Ausritt in die Box neben Bella stellen und den Schrank neben Bellas mit ihrem Namen beschriften. Aber bitte räume Bella auf bevor du die Stute holst. Luk hilft dir die Stute zu holen. Aber putzen und satteln tust du. Wenn du es gar nicht hinbekommst, dann kann er dir helfen. Viel Spaß ihr beiden“, Kathi dreht sich weg und geht.
Lea steht da und schaut Kathi entsetzt hinterher.
Ausritt? Weiße Stute? Hää? Luke nimmt mich am Strick? Na schön das ihr Sachen beschließt und mich davor nicht einmal fragt. Kann ja etwas werden.
Luke ist bereits einige Schritte in die Richtung gegangen, in der Katharinas Stall sich befindet.
„Lea?“
Lea schaut erschrocken auf.
„Komm schon!“, fordert Luk sie auf.
Lea läuft neben Luk her. Als sie die Stute sieht, stockt ihr der Atem, strahlend weiß und eine lange hübsche Mähne.
Wow… hübsches Tier. Ich wusste gar nicht, dass es so hübsche Pferde gibt. Aber warum ist mir die letztes Mal nicht aufgefallen?
Luk öffnet die Boxentür:
„Schönes Pferd, oder? Sie war mit ein paar anderen Pferden auf der oberen Koppel.“
„Ach deswegen hab ich die nicht gesehen.“
„Ja. Wird wohl so sein“, meint Luk und gibt Lea ein Halfter und einen Führstrick in die Hand.
Lea legt der Stute das Halfter an und befestigt den Führstrick. Dann bindet sie sie draußen neben Cookie an und bringt Bella in den Stall.
Als sie die weiße Stute geputzt hatte, versucht sie sie aufzusatteln. Die Decke und der Gurt machen ihr keine Probleme. Die Stute will nur das Maul nicht öffnen. Mit viel Mühe schafft Lea es aber dann doch.
Luk befestigt einen Strick am Halfter der hübschen Stute und hilft Lea auf den Rücken des Tieres. Dann steigt er auf Cookie.
Die beiden reiten einmal über den ganzen Hof. Am anderen Ende führt ein schmaler geteerter Weg vom Hof weg. Luk reitet mit Cookie vorneweg:
„Lea? Wo bleibst du?“
„Bin hinter dir. Weißt du doch.“
„Ja, ich weiß. Eigentlich sollte das jetzt heißen, dass du neben mich kommen sollst.“
Lea fühlt wie ihr die Röte mal wieder ins Gesicht steigt.
Ich hasse es. Was mach ich jetzt? Bleib ich einfach hinter ihm? Aber was sage ich dann? Und wenn ich einfach neben ihm reite? Würde er dann sehen, dass ich wieder einmal rot angelaufen bin? Und wenn ich dann einfach so tue als wäre nichts? Aber das kann ich nicht. Das weiß ich. Dann werde ich noch roter, als wie ich jetzt eh schon bin.
Und wenn ich dann einfach vom Thema ablenke? Aber was für ein Thema? Über Pferde? Aber ich glaub ich muss ihn dann was fragen… aber was?
„Lea?“
Lea reitet langsam neben ihn.
„Alles ok?“, fragt er Lea und schaut sie an.
„Ja – Ja, ja klar. Klar ist alles in Ordnung.“
„Sicher?“
„Ja, sicher. Ich war gerade nur in Gedanken versunken.“
„Ok. Darf ich fragen über was du nachdenkst?“
„Ist nicht so wichtig“
„Okay.“
Endlich wendet er seinen Blick von Lea ab.
Überlebt. Aber das war mal wieder total peinlich. So etwas kann auch nur mir passieren. Gott sei Dank kann er meine Gedanken nicht lesen.
„Hast du Lust zu traben?“, Luk reist Lea erneut aus ihren Gedanken.
„Klar.“
Als die beiden von ihrem Ausritt zurückkommen, sehen sie Jenny und Laura vor dem Stall stehen.
„Die schon wieder“, entfährt es Luk.
„Was ist denn los?“, Lea ist neugierig.
„Ach, nicht so wichtig.“
„Wenn du meinst.“
Sie binden die zwei Pferde an und satteln sie ab.
Danach putzen sie sie noch grob und bringen sie in den Stall. Als sie gemeinsam den Stall wieder verlassen, stellen sich Jenny und Laura in den Weg.
„Och, wie süß“, Laura meint das nicht ernst.
„Hast jetzt schon eine neue, oder was?“, lästert Jenny.
„Ihr wisst doch gar nichts. Das einzige das ihr könnt ist über andere lästern und zickig sein“, versucht Luk sich zu währen.
„Du hast doch mit Jenny Schluss gemacht“, fällt ihm Laura ins Wort.
Lea versucht zu verstehen um was es geht.
Ich habe keine Ahnung was die beiden von Luk wollen. Luke muss einmal mit Jenny zusammen gewesen sein. Aber das scheint doch eindeutig der Vergangenheit anzugehören. Was will sie dann hier? Und was hat Laura damit zu tun? Naja, ist ja nicht meine Sache, aber interessant wäre es schon.
„Ach Laura halt du doch deinen Mund!“, verteidigt sich Luk. „Mach dich aus dem Staub! Und du Jenny auch! Geht doch dahin wo der Pfeffer wächst!“
Luk dreht sich um und schaut zu Lea. Dann geht er weg. Lea folgt ihm:
„Luk? Alles in Ordnung?“
„Ich sagte dir ja, von denen sollte man sich fern halten“
„Die sind ja voll die Zicken.“
„Entschuldige, dass ich so neugierig bin, aber darf ich dich etwas fragen?“
„Was ist?“, er scheint sichtlich genervt.
„Okay, ich glaube ich frage dich irgendwann anders.“
Lukas nickt.
„Ich bin normalerweise niemand, der so aggressiv ist, aber wenn es um die beiden geht…“, er stoppt mitten im Satz.
Lea fragt nicht länger nach.
Sie verabschiedet sich von Lukas und bedankt sich für den tollen Ausritt. Dann macht sie sich auf den Weg zum Haus.
Katharina und Max sind bereits dabei das Abendessen zumachen.
„Lea?“, ruft Kathi als sie jemanden zur Haustüre reinkommen hörte.
„Ja?“
„Geh bitte gleich duschen. Danach gibt es Abendessen!“
„Ist okay!“, Lea ist bereits auf dem Weg nach oben.
Beim Abendessen reden die drei über den heutigen Tag.
„Gefällt es dir hier?“, will Max von Lea wissen.
„Ja, sehr sogar“
„Willst du die weiße Stute jetzt eigentlich behalten?“, fragt Kathi neugierig nach.
„Wenn ich darf, dann gerne“
„Sonst hätte ich dich ja nicht gefragt. Und wie heißt die hübsche jetzt?“
„Ich weiß es noch nicht. Mal überlegen… Sie schaut aus wie eine weise Prinzessin. Jetzt weiß ich es! Princes!“
„Hört sich ja gut an.“
Die drei reden noch eine Weile. Und dann beginnt wieder der Horror für Lea. Die Nacht und die bösen Träume.
Kapitel 2
Liebes Tagebuch,
der gestrige Tag war ein voller Erfolg. Ich glaube es war die richtige Entscheidung mit hier her zu kommen. Jedenfalls hat sich bis jetzt noch nicht das Gegenteil erwiesen.
Früher, als kleines Kind, habe ich mir immer gewünscht, dass ich reiten lernen kann und habe von einem eigenen Pferd geträumt. Und jetzt – jetzt habe ich gleich zwei. Ein Fjordpony oder auch Norweger genannt, namens Bella und eine schneeweise Araberstute, namens Princes.
Außerdem habe ich ein paar total nette Leute kennen gelernt. Marry und Luk, eigentlich Lukas, aber ihn nennen alle Luk.
Marry hat mir die Geschichte erzählt wie sie zu ihrem Charlie kam. Eine tolle Geschichte. Und Luk? Luk ist ein toller Mensch. Ich wusste gar nicht, dass Jungs so nett sein können. Woran das wohl liegt…
Ich habe mich heute zum ersten Mal nicht mehr wie eine Außenseiterin gefühlt. Ich wurde zwar einige Male rot und es gab peinliche Situationen, aber alles in allem würde ich sagen, der Tag ist gelungen.
Ich überlege nur schon die ganze Zeit, was es mit Luk und Jenny aus sich hat und was Laura damit zu tun hat.
Ich weiß es geht mich nichts an, aber ich kann nichts dafür, dass ich so neugierig bin.
Ich vermisse mein Zuhause… aber am meisten vermisse ich Sophie. Sie fehlt mir. So weit weg… das ist nicht leicht. Ich habe zwar so viel verloren, aber auch einiges dazu gewonnen. Ich habe beschlossen positiv in die Zukunft zu schauen. Alles andere wäre so oder so nicht sinnvoll. Ich versuche an einem Satz fest zuhalten, den ich früher immer gesagt habe:
Ich gehe meinen Weg und nichts in aller Welt kann mich daran hindern, oder mich aufhalten.
Einmal hat mich jemand gefragt: „Was ist dein Weg?“
Damals konnte ich nicht darauf antworten, heute auch nicht und das kann ich auch gar nicht, denn ich habe eine Sache festgestellt. Man kann nicht sagen, ich gehe den und den Weg, zuerst gerade aus und dann Links. Nein, das kann ich nicht sagen. Denn ich weiß es erst dann, wenn ich ihn gegangen bin.
Manchmal werden einem Steine in den Weg gelegt, doch auch aus Steinen kann man etwas Tolles bauen.
Es mag zwar schwieriger sein, aber es ist nicht unmöglich.
Ich bin einmal gespannt, was die nächste Zeit so mit sich bringt. Aber ich hoffe mal, dass es beim Positiven bleibt.
Lea kämpft sich aus ihrem Bett und läuft die Treppen runter, heute pünktlich zum Frühstück.
„Morgen, Lea“, sagen beide gleichzeitig.
„Morgen“, antwortet Lea und setzt sich an den Tisch.
Sie nimmt sich eine Semmel aus dem Brotkorb und legt sich eine Scheibe Wurst darauf.
„Wie sieht es aus? Nachher hätte ich Zeit für eine Reitstunde. Da kommt noch eine Schülerin von mir. Die ist zwar schon viel weiter, aber da könntest du mitreiten.“
„Gerne. Mit wem soll ich mitreiten?“
„Das musst du entscheiden.“
„Okay. Ich glaube ich werde Princes nehmen.“
Nach dem Frühstück rennt sie die Treppe hoch und zieht sich um. Danach verlässt sie das Haus und läuft Richtung Stall. Sie holt Princes aus der Box, putzt und sattelt sie. Dann macht sie sich mit Princes auf den Weg in Richtung Reitplatz. Dort steht bereits ein Mädchen in ihrem Alter. Sie hat ein Dunkelbraunes Pferd am Halfter.
„Hi. Du bist Lea, oder?“, spricht das schlanke Mädchen mit schulterlangen, schwarzen Haaren sie an.
Lea nickt und zieht sich ihren Reiterhelm und ihren Protektor an.
In diesem Moment kommt Kathi auf sie zu:
„Lea, das ist Emely. Sie hat jetzt eigentlich eine Reitstunde. Ihr werdet heute zusammen eine bekommen. Emely ist viel weiter wie du, doch ihr werdet beide heute zusammen reiten. Emely reitet mit Lerodo mit und du mit Princes. Wie besprochen.“
Emely steigt auf Lerodo, während Kathi Lea auf Princes hilft.
Die Reitstunde verläuft ohne Probleme. Die beiden verstehen sich super und Lea springt zum ersten Mal, auch wenn es nur ein kleines Hindernis ist.
Nach der Reitstunde reden die drei noch kurz miteinander und beschließen, dass sich Lea und Emely nach dem Mittagessen an der Bushaltestelle im Zentrum der Stadt treffen und ein wenig bummeln gehen.
Nach dem Mittagessen macht sich Lea auf den Weg zu der Bushaltestelle und steigt dort in den Bus. Als dieser an ihrem gewünschten Ziel ankommt, steht Emely bereits schon eine Weile da, damit sie Lea ja nicht verpasst.
Sie beschließen als erstes in ein Kleidungsladen zu gehen. Emely will sich unbedingt eine neue kurze Jeans kaufen und ein Top. Lea und Emely durchstöbern den Laden und suchen sich viele Sachen aus, die sie anprobieren wollen. Am Ende kauft sich Emely eine Hotpants und ein rotes Top mit einem etwas größeren Ausschnitt. Lea entscheidet sich auch für eine Hotpants und für ein lila Top. Des Weiteren kauft sie sich ein rotes T-Shirt.
Als nächstes wollen die beiden in das Café am Marktplatz.
Auf dem Weg dorthin treffen sie Michael, Emelys Freund.
Sie begrüßt ihn mit einem Kuss. Dann stellt sie Michael Lea vor und anders herum.
Nach einem kurzen Gespräch lassen sie Michael mit seinem Kumpel alleine und machen sich auf den Weg in das Café. Sie reden über alles was ihnen gerade einfällt. Bei einem Eiskaffee beschließen die beiden schließlich, dass sie morgen zusammen in das Gelände gehen. Emely hat eine Reitbeteiligung für Lerodo, daher kann sie fast immer auf ihm reiten.
Sie begleitet Lea noch zur Bushaltestelle. Die beiden verabschieden sich mit einer Umarmung.
„Bis Morgen“, sagt Emely.
„Klar“, meint Lea.
Dann steigt sie in den Bus und fährt zurück zu der Haltestelle in dem kleinen Dorf.
Als sie das Wohnzimmer betritt, warten Max und Kathi bereits auf sie.
„Wie war dein Stadtbummel“, will Max von ihr wissen.
„Super. Hat Spaß gemacht“, entgegnet Lea kurz.
„Ich wusste doch, dass du und Emely euch verstehen würdet“, meint Kathi.
„Ja, das ist so. Wir haben uns morgen verabredet. Wir wollen in das Gelände.“
„Ist okay. Hast du Hunger? Es gibt Hawaiitoast. Ich hoffe das schmeckt dir.“
„Klar. Hawaiitoast ist immer gut.“
Kathi geht in die Küche und kommt schließlich mit drei Tellern in der Hand zurück. Auf jedem befindet sich ein Toast mit einer Ananas, die mit Käse überbacken ist.
Nach dem Abendessen stapft Lea die Treppen hoch in ihr Zimmer und schaltet den Laptop an. Als sie ihr E-Mailprogramm öffnet, sieht sie, dass sie eine Nachricht von ihrer besten Freundin, Sophie hat. Lea öffnet sie voller Freude und beginnt zu lesen:
Hi Lea,
ich hoffe es geht dir gut. Wir vermissen dich hier alle, aber uns ist auch allen klar, dass du dein Leben meistern wirst. Du seiest jetzt bei Pflegeeltern, meinte die Polizei. Sind die beiden nett? Fühlst du dich wohl dort? Ich würde dir gerne so viel erzählen, nur das alles per E-Mail zu schreiben wäre eine schlechte Idee. Ich weiß du bist weit weg von hier, doch was meinst du, können wir uns einmal treffen? Das ging damals alles so schnell und wir konnten uns deswegen gar nicht verabschieden.
Ich muss jetzt los. Treffe mich gleich noch mit Vanessa im Park.
Hdl <3 Miss you <3
Viel Glück und ganz liebe Grüße
von deiner Sophie
Lea springt auf und rennt die Treppen runter.
„Kathi! Sophie hat mir geschrieben!“
„Langsam, langsam. Wer hat dir was?“
„Sophie, meine beste Freundin, hat mir geschrieben. Sie hat gefragt ob wir uns noch einmal treffen könnten. Würde es gehen, wenn sie einmal für zwei oder drei Tage zu uns kommt?“
„Bestimmt.“
„Max! Wir bekommen demnächst Besuch!“
Lea ist immer noch außer Atem.
Kathi wendet sich ihrer Pflegetochter wieder zu:
„Ende nächster Woche? Freitagvormittag anreise und Sonntagabend abreise? Ist das okay?“
Lea nickt:
„Ich schreibe ihr gleich!“
Und schon rennt sie die Treppen wieder hoch und setzt sich an den Laptop.
Hey Sophie,
ja, ich kann mir vorstellen, dass es eine ganze Menge gibt, von denen du mir erzählen willst.
Mir geht es gut. Ich bin hier auf einem kleinen Dorf, welches mehr Kühe und Pferde als Einwohner hat, gelandet. Katharina (Kathi) und Max sind sehr nett. Ich glaube, jemand besseren hätte ich nicht erwischen können. Und auch die meisten anderen hier in der Umgebung sind super nett.
Ach Sophie! Ich vermisse dich.
Ich habe mit Kathi und Max gesprochen. Du könntest Ende nächster Woche kommen. Am Freitagvormittag könntest du anreisen und am Sonntagabend abreisen. Würde mich riesig freuen wenn das funktionieren würde. Aber denk daran, nimm alte Kleidung und Schuhe mit, wir sind hier auf einem Reiterhof.
Im Anhang befindet sich ein Bild von MEINEN zwei Pferden. Jetzt sagst du nichts mehr, oder? Zwei Pferde… Wie oft hatten wir als kleine Kinder von einem kleinen Pony geträumt? Außerdem findest du dort auch ein Dokument mit meiner neuen Adresse und Handynummer. Bitte gebe diese an alle weiter.
Ich freue mich auf deine Antwort.
hdgdl <3
Deine Lea
Lea schaltet den kleinen Computer aus und macht sich Bettfertig. Als sie sich überglücklich auf ihr Bett fallen lässt klingelt ihr Handy. Es ist eine SMS von Emely.
Hi.
Kann Luk morgen mit auf den Ausritt?
Liebe Grüße, Emely
Lea antwortet ihr mit einem kurzen „Ja“. Dann schlüpft sie unter ihre Decke und versucht zu schlafen. Und tatsächlich, sie schläft direkt ein, ohne einen einzigen Albtraum.
Am nächsten Morgen wacht sie schon früh auf. Zum ersten Mal seit Wochen fühlt sie sich ausgeschlafen. Überglücklich macht sie sich auf den Weg nach unten. Nach dem Frühstück richtet sie Princes für die Reitstunde her. Kathi lässt sie noch einige Übungen reiten, damit sie später im Gelände keine Probleme hat.
„Gut. Du dürftest im Gelände keine Schwierigkeiten haben. Für einen Schritt und Trabausritt bist du fit. Du kannst Princes eigentlich absatteln und auf die obere kleine Koppel bringen. Nomina ist auch oben. Die freut sich bestimmt über ein wenig Gesellschaft.“
„Okay, mach ich. Wenn ich nachher nicht mehr da bin, du weist dann ja wo ich bin.“
„Klar weiß ich das.“
Lea kommt gerade zurück zu ihrem Stall, als Emely und Luk von Emelys Eltern auf den Hof gefahren werden.
Die drei machen sich sofort auf den Weg in die Ställe und holen ihre Ponys und Pferde. Nachdem sie diese geputzt und gesattelt haben, hilft Luk Lea auf Bella. Dann steigen auch Luk und Emely auf die Rücken ihrer Pferde. Sie reiten über einen dünnen Trampelpfad, der quer über die Wiese führt. Dann biegen sie ab. Am anderen Ende des Waldweges treffen sie Mario, der mit seinem Pflegepferd Mania gerade eine Pause macht. Luk stellt Mario Lea vor und andersrum. Mario begleitet die drei ein Stückchen. Emely und Luk wollen den Fluss noch ein Stück hinaufreiten, doch Lea reicht es für heute. Sie will umdrehen. Mario entschließt sich mit Lea den Fluss abwärts zu reiten um ziemlich bald zurück auf dem Hof zu sein.
„Was machst du hier eigentlich? Ich hatte dich hier vorher noch nie gesehen“, Mario ist neugierig.
„Lange Geschichte“, Lea versucht dieses Thema zu meiden.
„Wir haben Zeit. Oder möchtest du nicht darüber reden?“
„Letzteres“, antwortet Lea kurz.
Als die beiden zurück auf die Moonlightranch kommen, binden sie ihre Pferde an und putzen sie grob. Danach bringen sie die beiden hoch auf die Koppel. Sie lassen sie mit Nomina und Princes über die Wiese galoppieren und schauen den beiden zu.
Nach einer halben Stunde kommen auch Emely und Luk mit ihren Pferden am Halfter hinauf zu Koppel. Sie lassen die beiden zu den anderen.
Kathi ist gerade fertig damit, ein Picknick für die vier herzurichten, als diese zurück von der Koppel kommen. Sie setzen sich alle auf die Decke und genießen die kleine Stärkung, die aus Wurstbroten, Kuchen und einer kalten Limonade besteht. Lea fällt schnell auf, dass Luk näher an Emely sitzt als sonst. Nach einer Weile schiebt sie jedoch jegliche Gedanken von sich weg und genießt die warme Sonne auf ihrer Haut.
Nach einer Stunde reden, essen und trinken holen die vier alle Pferde von der Koppel und bringen sie in ihre Ställe. Emely und Luk gehen gleich danach zur Bushaltestelle, da sie ihren Bus nicht verpassen wollen.
Mario und Lea setzen sich wieder auf die Picknickdecke, die nun in dem Schatten einer großen Eiche war. Lea ist nicht die einzige, der aufgefallen war, dass Luk und Emely ungewöhnlich nahe beieinander saßen.
„Hast du Emely und Luk gesehen? Sitzen die immer so nah nebeneinander?“, platzt es aus Lea heraus.
„Das habe ich mir auch schon gedacht. Normalerweise sind sich die beiden nicht so nahe.“
Die beiden reden noch eine ganze Weile über verschiedene Sachen.
Zur selben Zeit sitzen Lukas und Emely im Bus. Luk legt seinen Arm vorsichtig um Emelys Schultern. Doch Emely schiebt ihn beiseite:
„Du weißt, ich habe einen Freund.“
„Michael - Ich weiß. Tut mir Leid.“
Der Bus hält im Zentrum der kleinen Stadt und die beiden steigen aus. Bevor Emely sich verabschieden kann, nimmt Luk ihr Gesicht in die Hand und gibt ihr einen Kuss. Emely schaut ihn verwirrt an.
Doch Luk hatte nicht damit gerechnet, dass Michael in der Nähe ist und alles gesehen hat. Wütend kommt er auf Luk zu und schubste ihn beiseite:
„Lass die Finger von Emely! Sie gehört zu mir!“
„Hey, hey! Ist ja schon gut. Ich habe schon verstanden“, Luk weicht aus, indem er einen Schritt zurück geht.
Emely schiebt Michael zur Seite und versucht ihn zu beruhigen:
„Micha! Ganz ruhig! Hör mir zu. Ich glaube er hat dich wirklich verstanden.“
„Hat er nicht, da bin ich mir sicher!“
„Doch hat er.“
„Emely! Du weißt es genauso wie ich! Wenn er ein Girl will, dann kämpft er solange bis er es bekommt! Und du gehörst zu mir!“
„Ja, ich gehöre zu dir. Das weißt du. Lass uns gehen“, Emely schiebt Michael vor sich her. Kurz bevor die beiden um die nächste Hausecke laufen dreht sich Emely noch einmal um und wirft Lukas einen wütenden Blick zu.
Michael bringt Emely nach Hause. Den ganzen Weg laufen die beiden schweigend nebeneinander her und Emely wird von ihrem schlechten Gewissen geplagt.
Als sie die Wohnung betritt, geht sie gleich in ihr Zimmer und lässt sich auf ihr Bett fallen. In diesem Moment kann sie die Tränen nicht zurückhalten und sie kullern ihr in dicken Tropfen die Wangen herab. Nach langem Nachdenken holt sie ihr Tagebuch aus der Schublade ihres Nachtkästchens und fast ihre Gedanken zusammen.
Liebes Tagebuch,
soweit ich mich erinnern kann, fällt mir kein Zeitpunkt ein, indem ich je so in einer Zwickmühle gewesen bin, wie jetzt. Der Ausritt mit Luk, nachdem Lea und Mario umgedreht sind, war wunderschön. Er hatte mir von seinem Problem mit Jenny erzählt und ich ihm einiges über die Beziehung von mir und Micha. Ich glaube das war ein Fehler. Bei dem Picknick mit Lea und Mario saß er näher bei mir als sonst und im Bus legte er seinen Arm um mich. Ich drückte diesen natürlich sofort beiseite und sagte ihm nochmals, dass ich mit Micha zusammen bin. An der Bushaltestelle, nachdem wir ausgestiegen waren, nahm er mein Gesicht in seine Hände und gab mir einen schnellen, aber dennoch sehr zarten und liebevollen Kuss. Das verwirrte mich. Plötzlich kam Micha und schubste Luk weg. Er muss alles gesehen haben. Aber hat Luk gesehen, dass er in der Nähe war und alles sehen konnte? Hat er es mit Absicht gemacht, dass Micha es sieht? Will er einen Keil zwischen Michael und mich treiben? Oder hat er es gar nicht gesehen, dass Micha in der Nähe war? Aber er wusste, dass ich mit Micha zusammen bin. Wieso dann dieser Kuss? Was hatte dieser für eine Bedeutung?
Ich hatte Luk erzählt, das ich nicht mehr glücklich bin mit Micha und dass ich nur noch mit ihm zusammen bin, weil ich ihn nicht verletzten will. Aber warum muss er das dann gleich so ausnutzten? Will Luk etwas von mir? Oder war das alles nur Show?
Ja, ich muss zugeben, Luk ist ein cooler Typ und ich habe mich in ihn verguckt, aber was soll das alles?
Soll ich jetzt Micha verletzten und mein Glück mit Luk versuchen, falls Luk es ernst meint? Aber das wäre doch egoistisch, oder?
Auf der anderen Seite ist es Micha gegenüber auch unfair, wenn ich nur aus Mitleid mit ihm zusammen bin.
Ich brauche unbedingt eine Lösung…
Mit diesem Satz beendet Emely ihren Tagebucheintrag. Sie nimmt das Schloss und verriegelt ihr Büchlein. Emely liegt noch lange wach in ihrem Bett und sucht nach einer Lösung, doch sie findet keine und schläft irgendwann mitten in der Nacht ein.
Als sie aufwacht steht die Sonne bereits hoch am Himmel und scheint zu ihrem Fenster herein. Während sie sich anzieht und frühstückt sind ihre Gedanken wieder bei dem Thema des gestrigen Abends. Nach langem hin und her entscheidet sie sich, dass es nicht okay wäre weiter mit Micha zusammen zu sein, nur aus Mitleid. Sie beschließt sich diesen Nachmittag noch mit ihm zu treffen und schickt ihm kurz eine SMS.
Am Nachmittag treffen sie sich vor der Eisdiele im Stadtzentrum. Micheal läuft auf Emely zu und will ihr wie immer einen Kuss zur Begrüßung geben, doch Emely drückt ihn weg. Micha schaut sie ganz irritiert an:
„Was ist los? Ist es wegen gestern?“
„Micha… ach, ich weiß gar nicht wie ich anfangen soll.“
„Emely Schatz, was bedrückt dich?“
Diese Worte machen es ihr nicht gerade leichter:
„Ich weiß nicht, ob du es schon einmal bemerkt hast, aber es ist nicht mehr so wie es einmal war.“
„Was soll das jetzt heißen?“
Emely hatte gehofft, dass er versteht was sie meint:
„Ich liebe dich schonlange nicht mehr. Ich wollte dich nur nicht verletzten. Ich weiß, das war unfair.“
Micha schaut sie ganz verwirrt an:
„Es ist wegen Luk, oder? Nur wegen ihm! Lässt du es etwa zu, dass er alles zwischen uns zerstört?!“
„Nein, es ist nicht nur wegen Luk. Ich habe endlich begriffen, dass es falsch ist, mit dir aus Mitleid zusammen zu sein. Ich wollte nicht, dass du darunter leidest. Und doch musst du es jetzt“, versucht sich Emely zu rechtfertigen.
„Und ich dachte du bist anders wie die anderen! Aber kaum kommt ein besserer Typ, ist die Madame Emely weg. Weißt du was? Du bist kein bisschen besser wie Jenny und Laura“, Micha dreht sich um und geht.
Diese Worte treffen Emely sehr. Sie setzt sich auf eine kleine, weise Bank.
Ich wusste ich tue ihm weh… aber ich hatte nicht mit so einer Antwort gerechnet. Hat er vielleicht Recht? Bin ich wirklich schon so wie Jenny und Laura?
Nach einer Weile steht sie auf und macht sich auf den Weg nach Hause.
Am nächsten Tag steht sie schon früh auf und geht auf die Ranch. Emely hofft Luk anzutreffen, doch sie trifft nur Lea. Beide holen ihre Pferde und machen einen gemeinsamen Ausritt. Unterwegs erzählt Emely Lea von ihrer Trennung von Micha. Er hat sich seit gestern nicht mehr bei Emely gemeldet, sie hat auch nichts anderes erwartet.
„Findest du, dass ich genauso bin wie Jenny und Laura?“
„Lass mal überlegen… zickig? Nein. Hochnäsig? Nein. Dumme Sprüche? Nein, hört man von dir nie. Also ich würde sagen, dass du nicht so bist. Aber wie kommst du darauf?“
„Micha hat mir das gestern vorgeworfen.“
„So ein Quatsch! Hat der überhaupt mal überlegt, was er dir da vorwirft? Oder besser gesagt, hat der eine Ahnung wie die beiden sind?“
„Anscheinend nicht.“
Als die beiden wieder zurück auf der Ranch sind, schauen sie vorsichtig in den Stall. Vor der Box von Cookie sieht Emely Luk und Jenny. Sie rennt weg und klettert auf den Rücken von Lerodo. Lea springt auf den Rücken von Bella und versucht hinter Emely zu bleiben. Emely galoppiert in einem schnellen Tempo über die Wiese. Endlich bleibt sie stehen. Weinend setzt sie sich auf einen großen Stein. Auch Lea kommt endlich an. Sie setzt sich neben Emely:
„Kopf hoch Emely. Wir hätten damit rechnen müssen, dass Jenny Luk den Kopf verdreht.“
„Du hast damit gerechnet – Aber nicht ich!“
„Ich versteh, dass du sauer und traurig bist, aber vielleicht ist Luk einfach der Falsche für dich.“
„Oder diese blöde Jenny ist schuld. Sie will mir alles kaputt machen! Was findet Luk nur an der?“
„Ja, dass verstehe ich auch nicht. Luk hat echt etwas Besseres verdient, nicht so jemanden wie Jenny. Aber dennoch finde ich, dass du für Luk zu gut bist.“
„Du würdest es mir also nicht gönnen, wenn ich mit Luk zusammen käme?“, entfuhr es Emely.
„Nein, so war das nicht gemeint. Natürlich würde ich mich für dich freuen!“
„Jaja… Das hätte ich an deiner Stelle jetzt auch gesagt!“
Lea versucht Emely zu trösten.
Luk war es nicht entgangen, dass Emely ihn gesehen hatte und weggeritten war. Während Lea sie tröstet hat Luk eine lautstarke Auseinandersetzung mit Jenny.
„Jenny! Du versaust mir alles!“
„Du hast es doch zugelassen. Du bist selber schuld daran!“
„Klar und ich bin der Kaiser von China!“
„Jetzt aber mal halb lang! Überleg doch bevor du mich beschimpfst!“
„Ach, verschwind doch einfach! Such dir einen anderen! Geh!“
Im selben Moment dreht sich Luk auch schon um und steigt auf sein Fahrrad. Er ahnt, wohin Emely geritten war. Auf dem halben Weg kommt Lea ihm entgegengeritten.
„Lea! Wo ist Emely!“
„Lass sie einfach in Ruhe! Du tust ihr nur weh! Sie ist viel zu gut für dich!“
„Ich glaube das habe ich wohl selber zu entscheiden. Wo ist sie?“
„Tu was du nicht lassen kannst! Sie ist hinten bei den Steinen.“
„Danke“, Luk fährt so schnell er kann.
Als er Emely endlich sieht steigt er ab und schiebt sein Fahrrad neben sich her. Langsam geht er auf Emely zu, welche ihn nicht bemerkt. Vorsichtig setzt er sich neben sie auf den Stein und legt seinen Arm um sie.
„Lass mich!“, Emely schubst ihn weg.
„Hör mir bitte kurz zu.“
„Geh einfach!“
„Es tut mir Leid.“
„Ach ja? Es tut dir Leid?“
„Ja, es tut mir Leid. Ich wollte dir nicht wehtun“
„Ja klar“, sagt Emely ironisch. „Du konntest ja nicht wissen, dass ich zufällig dann vom Ausritt zurückkomme, wenn du mit Jenny herumknutschst…“
„Es war ein Fehler Emely. Außerdem hast du mich doch das letzte Mal so abgewehrt.“
„Da war ich ja auch noch mit Micha zusammen. Ich hätte besser bei ihm bleiben sollen! Wegen dir, wegen dir habe ich mich von ihm getrennt!“
„Jetzt bin wieder ich Schuld“, es klingt eher wie eine Frage und nicht wie eine Feststellung. „Ja, ich bin an allem Schuld“
„Ja! Ach, Nein – Nein bist du nicht.“
„Es tut mir Leid Emely. Ich habe mich von Jenny beeinflussen lassen.“
„Ja, andere Leute beeinflussen kann sie gut“
„Stimmt. Aber ich glaube ich habe wohl auch eine Teilschuld daran.“
„Das würde ich auch so sagen.“
„Entschuldigung Emely. Kannst du mir das verzeihen?“
„Vielleicht“, sie zögert noch ein wenig: „Ja, ich kann dir verzeihen. Aber nur das eine Mal.“
„Danke. Kommt nicht wieder vor.“
Luk drückt Emely ganz fest an sich heran.
Er soll nicht gut genug für mich sein? Mensch Lea, wo lebst du? Er ist gut genug für mich – eigentlich schon wieder zu gut. Vielleicht war es wirklich richtig, dass ich mich von Micha getrennt habe. Jedenfalls bereue ich es nicht und ich bereue es auch nicht, dass ich Luk gerade verziehen habe. Es kehrt sich doch immer alles zum Guten, man muss nur lange genug warten.
Abends schreibt Emely Lea eine SMS:
Hey Lea,
ich habe Luk verziehen. Jenny kann einfach nur gut Leute manipulieren. Ich glaube Luk ist der Richtige, aber das wird sich ja noch herausstellen. Ich hoffe, dass du nicht sauer auf mich bist, da ich heute etwas unfair zu dir war. Tut mir Leid.
Ich wünsche dir eine gute Nacht und träum etwas Schönes.
Deine Emely
Kapitel 3
Als Lea aufsteht geht gerade die Sonne auf. An den Blättern von dem Baum vor ihrem Fenster hängen große Tautropfen, welche ab und zu einmal heruntertropfen. Frische Morgenluft kommt durch das offene Fenster in ihr Zimmer. Lea geht ans Fenster und hört wie die Tautropfen auf das Plastikdach des Gartenhäuschens tropfen. Sie liebt die Morgenfrische, welche ein wenig nach Überraschungen riecht und ihr einen guten Start in den Tag sichert.
Lange schaut sie aus ihrem Fenster und beobachtet wie die Vögel fliegen und fröhlich vor sich hin zwitschern. Ein Radio braucht sie in der Früh nicht mehr, denn sie hat ja die Natur. Früher brauchte sie in der Früh immer ein Radio, denn wenn sie das Fenster öffnete, dann hörte sie nie die Vögel, sondern immer nur den lauten Straßenlärm und die vorbeifahrende S-Bahn. Seit sie hier auf dem Hof wohnt, hat sich ihr Leben um hundertachtzig Grad gedreht. Es hat einige negative Seiten, doch sie weiß, dass sie diese nicht ändern kann, deshalb achtet sie mehr auf die positiven Sachen und nimmt die Geschenke der Natur an. Sie hört, wie die Jungpferde wiehern, als Kathi sie gerade auf die Koppel führt. Es scheint so, als wäre Lea heute nicht die einzige mit einer guten Laune.
Wenn es nach Lea gehen würde, dann würde sie den ganzen Tag nur am Fenster stehen und die Schönheiten der Welt begutachten, jedoch hatte sie heute noch einiges vor. Ihre beste Freundin Sophie soll heute anreisen und dann über das Wochenende bei ihr bleiben. Lea ist schon ganz aufgeregt. Als sie sich im Bad fertig gemacht hat, richtet sie gleich das Schlafsofa für Sophie her und schaut nebenbei immer wieder einmal aus dem Fenster. Vor lauter Aufregung hat sie fast vergessen, dass sie das kleine Geschenk für Sophie noch einpacken muss. Nebenbei nimmt sie sich noch die Zeit einen Tagebucheintrag zu schreiben.
Liebes Tagebuch,
heute ist ein besonderer und wunderschöner Tag. Ich kann mich gar nicht mehr daran erinnern, wann ich mich das letzte Mal so auf etwas gefreut habe. Sophie kommt heute! Endlich sehe ich sie wieder! Sie bleibt übers Wochenende hier. Wir haben uns über E-Mail abgesprochen, dass wir heute gemeinsam beim Herrichten für das Sommerfest helfen. Das Sommerfest auf unserem Hof ist morgen. Es sollen ziemlich viele Leute kommen und es ist noch so viel zu tun, doch mit etwas Hilfe werden wir es schneller erledigt haben und mit Sophies Hilfe erst recht. Ich freu mich schon so. Das Wochenende wird so toll. Warum kann nicht jedes Wochenende so super sein? Ich könnte wahnsinnig werden. Sophie kommt! Ich höre ein Auto!
Tschüss J
Lea rast die Treppe hinunter und wäre dabei fast gestolpert. Sie reißt die Türe auf und stürmt voller Freude hinaus. Das Auto hält an und die Beifahrertüre geht auf.
„Sophie!“, Lea rennt ihr entgegen.
„Lea!“, Sophie umarmt Lea vor lauter Begeisterung und Freude: „Ich habe dich so vermisst“
„Ich dich auch.“
„Wie geht es dir?“, will Sophie wissen.
„Super! Wie soll es mir sonst auch gehen? Ich freue mich so, dass du da bist!“
„Toll dich wieder zu sehen! – Schön schaut es hier aus.“
„Ja, dass finde ich auch. Komm wir bringen deine Koffer nach oben.“
Die beiden bringen Sophies Koffer nach oben. Danach planen sie zusammen mit Kathi und Max, wer was herrichtet für das Sommerfest morgen.
„Wollte Emely heute nicht noch kommen und helfen?“, will Kathi wissen.
„Ja“, antwortet Lea.
„Wer ist Emely?“, fragt Sophie.
„Emely ist eine Freundin. Du wirst sie nachher noch kennen lernen. Sie ist total nett.“
„Ich werde den Getränkelieferer und den Partyservice noch einmal anrufen, ob für morgen alles klar geht“, meint Max.
„Ich kümmere mich draußen, dass alles Tische und Bänke richtig aufgebaut werden. Max kannst du mir später noch helfen alle Parkplätze auszuzeichnen und die Pferde, die wir morgen brauchen, in den Offenstall vor dem oberen Reitplatz zu bringen?“, meldet sich Kathi zu Wort.
„Natürlich. Lea du kannst zusammen mit Sophie und Emely in die umliegenden drei Städte fahren und noch einmal Plakate aufhängen. Am besten mit dem Zug, damit kommt ihr überall gut hin.“
„Ja klar. Das machen wir.“
Schon eine halbe Stunde später sitzen die drei im Zug und fahren zu den Städten. Emely und Sophie scheinen sich super zu verstehen und die drei genießen die Zeit zusammen. Sophie erzählt alles was in letzter Zeit bei ihr so vor gefallen war. Des Öfteren kommen Erinnerungen in Lea hoch und sie muss ihre Tränen zurück halten.
Es ist Wahnsinn, was ich in der kurzen Zeit so verpasst habe. Wie schnell die Zeit vorbei ging und wie schnell die Träume verschwunden sind. Ich habe einfach alles von mir weggeschoben und das ist vielleicht fürs Erste gut, aber auf Dauer? Es fehlt mir einfach alles so sehr. Wo ist die Zeit geblieben und wo ist mein altes Leben hin? Alles war weg. Vernichtet durch einen Tag, eigentlich waren es nur wenige Sekunden. Kann es so etwas geben? Nein. Mein altes Leben ist nicht weg - es hat nie aufgehört - es ist lediglich nur weitergelaufen und ich muss lernen damit umzugehen. Das Leben besteht nun einmal aus einer ständigen Veränderung – aus einem Kommen und einem Gehen und bevor man das nicht versteht, darf man nicht sagen, dass man weiß was Leben heißt.
Also wenn ihr mich fragt, was das Leben lebenswert macht, dann finde ich sind es die Freunde, die Familie und die Tiere. Ja, meine Familie fehlt – zumindest meine richtige Familie, aber ich habe Kathi und Max. Ich habe es mittlerweile einfach so angenommen wie es ist. Ich kann nichts an meiner Situation ändern. Man kann die Zeit nun einmal nicht zurückspulen – das würde auf dieser Welt ja gerade noch fehlen.
Jeder neue Tag ist ein Geschenk, das wir genießen und annehmen sollten. Natürlich gibt es schönere und nicht so schöne Tage – sogar total grauenvolle, schlechte Tage, doch auch diese müssen wir akzeptieren und man muss lernen, das Beste daraus zu machen.
Ja, so leben wir alle vor uns hin und klettern über Berge – freuen uns, wenn wir oben ankommen – manchmal rutschen wir ab und fallen tief. Doch auch dann werden wir nie aufgeben und immer wieder erneut zu klettern beginnen, damit wir, wenn wir alt sind, sagen können, dass wir unser Leben gut gemeistert haben. Wir Menschen sind Kämpfer und deshalb brauchen wir Herausforderungen. Wenn man das Leben verstanden hat, dann kann man es genießen – ja – dann kann man es genießen.
Am späten Nachmittag sind alle Plakate verteilt und die drei sitzen auf den schon aufgebauten Bierbänken. Kathi bittet die drei Lerodo, Princes und Bella von der Koppel zu holen und noch zu putzen, da sich die Pferde gewälzt hatten und nun feuchte Erde in ihrem Fell klebt. Die drei machen sich sofort an die Arbeit. Während sie die Pferde sauber machen, fahren drei große, schwarze Autobusse auf den Hof. Vier Jungs und zwei Mädchen steigen aus und kommen auf sie zu.
„Hallo. Wir sind die Band, die hier morgen spielen soll. Man hat uns angeboten, dass wir heute Nacht in dem großen Ferienhaus übernachten können“, sagt einer der Jungs. Allein seine Stimme klingt wie eine zauberhafte Musik in Leas Ohren.
„Ähm – ja. Bitte wendet euch doch an Kathi und Max. Sie bauen gerade noch die Tische und Bänke auf“, stottert Lea und zeigt auf Kathi und Max.
„Danke.“
„Seit wann stotterst du?“, fragt Emely und muss sich sichtlich das Lachen verkneifen.
Lea wirft ihr einen bösen Blick zu und fängt selber an zu lachen. Auch Sophie lacht mit.
Sie räumen die Pferde in die Boxen und setzten sich wieder auf die Bierbänke. Lea schaut den Bandmitgliedern zu, während diese ihre Sachen in das Ferienhaus tragen. Sophie und Emely unterhalten sich währenddessen und merken gar nicht, dass Lea ihr Gespräch schon lange nicht mehr verfolgt. Sie beobachtet den Jungen mit den blonden Haaren und den Ozeanblauen Augen, der gerade drei Mikrofone auf die überdachte Holzbühne stellt. Sie lässt ihn nicht mehr aus den Augen.
Der ist ja süß. Ich wusste gar nicht, dass jemand so hübsch und süß sein kann. Wahnsinn. Wie er wohl heißt – und wie alt er wohl ist? Vielleicht 17? Das könnte doch hinhauen. Der spielt bestimmt E-Gitarre oder auf dem Keyboard. Vielleicht singt er ja auch – seine Stimme wäre ja schön genug. Ich glaube die Leute würden es sogar als Musik bezeichnen, wenn er nur normal sprechen würde. Sollte ich ihn einmal ansprechen? Aber was soll ich sagen? Ob sie gut angekommen sind? – Nein, das kommt blöd. Was sie heute Abend noch vorhaben? – Nein, das klingt auch blöd.
Ich kann ja schlecht hingehen und sagen, dass ich ihn süß finde. – Nein, das kann ich wirklich nicht bringen. Oh Mann! Und jetzt? So komme ich auch nicht weiter. Sollte ich abwarten, was morgen passiert? Aber das würde noch so lange dauern… Ich brauche eine Idee!
Genau in diesem Moment fällt dem Jungen ein Notenblatt aus seinem Ordner. Lea hebt es auf und geht dem Jungen bis zu Bühne hinterher.
„Hier – dein Notenblatt. Es ist dir gerade aus deinem Ordner gefallen“, sie reicht es ihm.
„Vielen Dank“, er nimmt es ihr lächelnd aus der Hand.
„Gehörst du hier auf den Hof?“, will er von ihr wissen.
„J-J-Ja“, stottert Lea.
„Wie heißt du?“
„Lea und du?“, fasst wäre ihr ihr eigener Name nicht mehr eingefallen.
„Finn. Ich weiß, der Name ist nicht der Schönste, aber ich kann damit leben.“
„Wieso? Mir gefällt er.“
„Das ist ja toll“, ein Lächeln umspielt seine Lippen.
„Singst du oder spielst du ein Instrument?“
„Beides. Ich kann Keyboard spielen, aber genauso gut singen.“
„Und was machst du dann morgen?“
„Beides“
„Hätte ich mir ja denken können.“
Er muss lachen: „Ja, das hättest du.“
Finn springt von der Bühne und lehnt sich lässig daran an:
„Wie alt bist du?“
„fünfzehn – und du?“
„sechzehn“
Er wendet sich kurz von Lea ab.
„So dürfte es reichen. Den Rest können wir morgen früh machen. Lasst uns etwas Essen.“
Finn wendet sich Lea wieder zu:
„Tschau Lea. Ich nehme mal an, dass wir uns morgen sehen, oder?“
„Ja klar.“
Finn geht mit den anderen in das Ferienhaus, währen sich Lea wieder zu Sophie und Emely gesellt.
„Lea, Lea“, Sophie schüttelt bedenklich den Kopf.
„Das ich das noch erleben darf…“
„Geht’s dir gut Sophie? Was für einen Schmarren redest du da?“
Emely kann sich das Grinsen nicht verkneifen und viel Sophie ins Wort:
„Ist doch klar was sie meint. Lea, er ist süß, nicht wahr?“
„Emely! Sophie! Was redet ihr für einen Mist? Ich will nichts von ihm“, blockt Lea energisch ab.
„Ja und deshalb redest du auch solange mit ihm und hast vorhin die ganze Zeit zu ihm geschaut.“
„Ist das in etwa verboten?“
Emely und Sophie müssen loslachen.
Das kann doch nicht so ersichtlich sein, oder? Ja, er ist süß – sogar sehr süß – und dazu noch nett. Was soll daran bitte so lustig sein? Emely rennt doch schon die ganze Zeit Luk hinterher und Sophie hat einen Freund. Wo ist da denn das Problem?
„Sorry, das war nicht so gemeint. Es ist nur amüsant, wie du alles abstreitest“, meint Sophie und Emely stimmt mit einem kurzen Nicken zu.
„Ist schon in Ordnung“, antwortet Lea nach ein paar Sekunden Bedenkzeit.
Am Abend, als Sophie beim Duschen ist, nutzt sie die Gelegenheit einen Tagebucheintrag zu schreiben. Sie hatte sich vorgenommen, die schönsten und die schlechtesten Tage immer festzuhalten.
Liebes Tagebuch,
ich habe mich heute so gefreut, weil Sophie gekommen ist und es ist auch toll, dass sie so gut mit Emely klar kommt. Jedoch habe ich etwas auszusetzten. Sophie hat sich total verändert. Langsam merke ich, wie viel es ausmacht, wenn man sich nicht mehr jeden Tag sieht.
Ich hatte heute das Gefühl, als würde sie mich nicht mehr richtig kennen – vor allem in der Situation, nachdem ich mit Finn geredet hatte.
Man merkt ihr voll an, dass sie eifersüchtig ist. Ja, ich kann es verstehen – er sieht nun einmal gut aus. Aber das gibt ihr doch noch lange keinen Grund eifersüchtig zu sein. Sie hatte sich heute Abend noch zur Band rüber ins Ferienhaus gesetzt. Ich habe keine Ahnung, was sie gemacht haben. Ich weiß nur, das Emely genauso darüber denkt wie ich.
Emely und ich hatten natürlich den ganzen Abend herumgeraten, was sie dort angestellt hat.
Ich finde, dass mir Sophie noch eine Erklärung schuldig ist – oder eigentlich ja nicht – aber es wäre toll. Mich interessiert es ja schließlich, was da los war. Immerhin ist Sophie ja mein Gast.
Als Sophie die Zimmertür öffnet klappt Lea schnell ihr Tagebuch zu und legte es wieder in die Schublade ihres Nachtkästchens. Sophie machte es sich auf dem ausgeklappten Sofa bequem.
„Sag mal, was habt ihr heute Abend in dem Ferienhaus eigentlich noch so gemacht?“, beginnt Lea.
„Wieso? Kann es sein, dass du vielleicht so ein kleines bisschen neugierig bist? Oder ist das Eifersucht?“, stichelt Sophie.
„Sophie! Du bist mein Gast und dann ist es nun mal interessant was du machst und wieso du mich mit Emely sitzen hast lassen.“
„Ja – ist ja schon gut. Die haben nochmal geprobt – ohne Instrumente.“
„Nur geprobt? Den ganzen Abend lang?“
„Ja“, antwortet Sophie schnippisch.
„Dass die jetzt überhaupt noch eine Stimme haben wundert mich.“
Lea gibt es auf und fragt nicht weiter nach. Trotz allen Aussagen von Sophie geht ihr das alles nicht aus dem Kopf. Sehr erschöpft entschließen sich beide, dass Licht auszuknipsen und zu schlafen.
Kapitel 4
Lea schreckt auf. Das laute Piepsen des Weckers riss sie aus dem Tiefschlaf und auch Sophie wacht auf. Die Sonne blitzt bereits zum Fenster herein. Der Anblick des Morgens erfüllt Lea mit einer unendlichen Zufriedenheit. Sie reißt das Fenster auf und auch Sophie kommt langsam zum Fenster. Es war erst sehr früh, aber es gab ja auch noch sehr viel zum Vorbereiten für den heutigen Nachmittag und Abend. Draußen ist die Sonne gerade erst beim Aufgehen. Der Himmel leuchtet in den verschiedensten Rot-, Orange- und Gelbtönen und verleiht dem Morgen einen magischen Glanz. Die Jungpferde galoppieren über die an den Offenstall grenzende Koppel, die Blätter der alten Eiche an der Hausecke rascheln im sanften, warmen Wind und der Mond war noch blass am Himmel zu erkennen.
„Verstehst du, was ich hier so liebe?“, wendet sich Lea Sophie zu.
„Ja. Es ist ganz anders wie in der Stadt. Die Natur ist so schön und ruhig. Die Vögel zwitschern und man hört keine Autos, keine Straßenbahn, keinen Krach aus der Stadt. Ich habe schon so lange keinen solchen Sonnenaufgang mehr erlebt.“
Die beiden stehen noch eine Weile am Fenster und genießen den Anblick des Naturschauspiels. Dann gehen sie nacheinander ins Bad um sich herzurichten. Frühstück gibt es an diesem Tag auf der Terrasse.
Schon kurze Zeit später gehen beide in Richtung Stall um Princes, Bella und die ganzen Schulpferde auf die Koppel zu bringen. Unterwegs laufen sie an der Band vorbei, die gerade die restlichen Instrumente aufbauen und sich mit der Technik beschäftigen. Finn springt von der Bühne und steuert direkt auf Lea und Sophie zu, umarmt Sophie kurz und begrüßt dann auch Lea mit einem kurzen „Hallo“.
Der… der… der hat sie umarmt… Wieso sie? Gestern Abend nur Soundchek und nochmals geprobt… träum weiter Sophie…
Lea beißt sich auf die Lippe und versucht nicht enttäuscht auszusehen, dann nahm sie allen ihren Mut zusammen und versucht Finn in ein Gespräch einzubinden.
„Schön dich zu sehen. Wie sieht es aus? Funktioniert alles?“
„Wir haben noch etwas Probleme mit der Technik, aber sonst sieht es gut aus.“
„Schafft ihr das bis heute Nachmittag oder braucht ihr noch Hilfe? Ich hätte in zehn Minuten ein bisschen Zeit und könnte helfen.“
„Bei der Technik helfen? Wird schwer.“
Dann schaut er Sophie an: „ Du könntest vielleicht oben helfen, mit den Notenständern und beim Kabelverlegen etwas zu Hand gehen, wenn du gerade Zeit dazu hättest.“
Sophie nickt sofort.
„Das ist super. Geh am besten gleich zu Björn, der freut sich über deine Hilfe.“
Sophie wirft Finn einen verachtenden Blick zu. Sie will eigentlich ihm helfen und niemandem sonst, macht sich dann aber doch ohne ein Wort zu verlieren auf den Weg zu Bühne.
„Lea?“
Lea schreckt auf: „Ja… äh… ja?“
Finn lacht: „Kannst du mir den Hof zeigen?“
„Ja! Klar kann ich das!“, Leas Augen leuchten auf.
Sie gibt Finn ein Zeichen ihr zu folgen und zeigt ihm als erstes den ganzen Platz, auf dem am heutigen Tag das Hoffest stattfindet, dann gehen beide zum Stall von Lea und kommen unterwegs noch an den Koppeln vorbei.
„Siehst du die weiße Stute da oben?“
„Die am anderen Eck der Koppel?“
„Ja, ja genau die. Das ist meine. Sie heißt Princes. Und in der Mitte der Koppel, dieses falben-farbige ist Bella, sie gehört auch mir.“
„Die zwei sind hübsch.“
„Ja, das finde ich auch. Hilfst du mir kurz die beiden von der Koppel zu holen? Sie müssen in den Stall.“
„Kann ich machen“, er lacht Lea an.
Lea öffnet das Tor und gibt ihm ein kurzes Zeichen, er solle auf die Koppel gehen. Er folgt ihrer Aufforderung und wartet, bis sie hinter ihnen das Tor verriegelt hatte. Darauf gehen beide den Hügel hoch. Sie steuern direkt auf Bella zu und Lea zeigt Finn, wie er Bella am Halfter halten soll. Princes kommt von alleine zu Lea und lässt sich bereitwillig neben Bella herführen.
Wahnsinn… Er hat Sophie vorhin eiskalt in den Regen gestellt. Das hätte ich nie gedacht. Finn ist so nett und er scheint die Pferde echt zu mögen… aber... mag er mich auch…? Ich finde ihn ja immer noch total süß. Sein Gesicht, sein Körper, seine Augen, seine Art… einfach alles… alles ist zu perfekt um wahr zu sein.
Gemeinsam bringen sie Bella und Princes in die Boxen. Als Lea gerade zur Stalltür gehen will, stoppt Finn sie.
Lea schaut ihn verwirrt an.
Waaah, was ist jetzt los?
„Alles okay?“, will Finn wissen.
„Ja, natürlich, wieso?“
„Du wirkst so abwesend und in Gedanken versunken, das habe ich mir vorhin auch schon gedacht.“
„Ne, nee… Alles in Ordnung“
„Du bist noch nicht solange auf dem Hof, hat mir Sophie verraten.“
„Oh man… war ja klar, dass sie wieder nicht still sein kann. Was hat sie dir noch alles erzählt?“
„Was passiert ist. Wieso du hier bist“, er stockt bei den zwei Sätzen, als er den entsetzten Gesichtsausdruck von Lea sieht.
Lea dreht sich um und will gehen. Sie weiß nicht, was sie sagen soll. Ihr steigt die Röte ins Gesicht und sie würde am liebsten im Erdboden versinken.
Finn hält sie am Arm, damit sie nicht gehen kann.
„Bleib hier.“
„Wieso? Lass uns zurück zu den anderen gehen, bitte.“
„Nimm es Sophie nicht übel. Sie hat sich fast verplappert und dann habe ich solange nachgefragt, bis sie es mir gesagt hat.“
„Na und? Spielt keine Rolle.“
„Ich kenn das, weißt du. Ich habe meine leiblichen Eltern nur nie kennengelernt. Ist bestimmt leichter, wenn man jemanden nicht kennt, als wenn man die geliebte Familie verliert, aber…“
„Hör auf! Bitte!“, Lea schaut ihn mit einem schmerzverzogenen Gesicht an.
„Entschuldige. Ich habe es auch nur gut gemeint“, er nimmt Lea in den Arm.